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Windtalkers


von Jan Distelmeyer (aus: epd-film 8/2002)

Das Feuergefecht zwischen den amerikanischen und japanischen Soldaten ist in vollem Gange, hier ein Schuß, dort ein Schrei, und die Kamera _ wie immer potentiell mit Blut befleckt und Schlachtfelddreck beschmutzt _ mittendrin statt nur dabei. Da geschieht es plötzlich: Mit einem Mal sieht sich unser Held Aug in Auge einem Japaner gegenüber, beide mit dem Gewehr im Anschlag. Dies ist der Moment, in dem der Kennerblick den Meister schaut, oder: ihn zu erkennen aufgefordert ist. "Mexican Standoff" heißt das Stichwort, und hinter diesem Arrangement zweier aufeinander zielender Kombattanten dürfen wir den Regisseur John Woo vermuten. Dazu haben wir noch ein paar elegische Actionzeitlupen und ein Verwirrspiel um Identität entdeckt, so dass angesichts dieser Erkennungszeichen wohl niemand mehr (jedenfalls kein "Kenner") der Feststellung zu widersprechen wagt, es hier mit einem "John Woo-Film" zu tun zu haben.

An dieser Stelle könnte eine ausschweifende Diskussion beginnen, ob nun John Woo oder irgendein anderer Angestellter der Filmindustrie diese "Signaturen" über "seinen" Film gelegt hat, in welchem Maße es unser eigener Blick ist, der dieses künstlerische Eigentum herstellt, und was mit dieser Identifikation eigentlich gewonnen ist. Was jedoch den konkreten Fall "Windtalkers" angeht, so tut jene Debatte diesem Film vielleicht schlicht zuviel Ehre an. Jedenfalls ist ein John-Woo-Bezug nicht unbedingt nötig, um von dem zu sprechen, was "Windtalkers" zu einem ärgerlich zeitgemäßen und darin so berechenbaren Kriegsfilm macht.

Wieder einmal geht es um den Zweiten Weltkrieg und dabei nicht (wie in "Saving Private Ryan", "U-57", "Duell _ Enemy At The Gates" oder "Das Tribunal") gegen die Krauts, sondern (wie in "Der schmale Grat" und "Pearl Harbor") gegen die Japs. Die kriegen es hier 1944 im Kampf um die Pazifik-Insel Saipan u.a. mit den Windtalkers zu tun; mit den Spezialisten der US-amerikanischen Nachrichtencodes, deren System an die Sprache der Navajo-Indianer angelehnt ist. Unser Held aus ihren Reihen ist der "Navajo Marine" Private Ben Yahzee (Adam Beach), weshalb der Film auch mit dessen Abschied von seiner Familie im Monument Valley beginnt und wiederum mit der Familienzusammenführung auf einem malerischen Felsen am selben Orte endet; untergehende Sonne und rötliches Licht inklusive, so wie man vom "untergehenden Stern" der "roten Rasse" redete. Der mit dem Klischee tanzt: Einsam weht der Wind durch die Kulisse, Stammesgesänge heben an und "der Indianer" ist noch immer für das Ursprüngliche, Natürliche und Geerdete zuständig. "Zivilisation" sieht anders aus.

Um den im Kampf unerfahrenen Ben Yahzee zu schützen und dabei um jeden Preis zu verhindern, dass er lebend in die Gewalt des Feindes gerät, wird ihm Sergeant Joe Enders (Nicolas Cage) an die Seite gestellt. "Ihre Mission lautet, den Code zu beschützen!" Enders ist Italoamerikaner, von seiner letzten Schlacht traumatisiert und scheint erst im Kampf, im Akt des Tötens, wieder lebendig zu werden. Das allerdings gibt sich mit der Zeit, und er erweist sich nicht nur als Opfer, sondern auch als Held des Krieges, der Mensch genug ist, sein Leben für den Kameraden Ben einzusetzen, anstatt ihn durch Mord der Feindeshand zu entziehen. Aus dem Killer mit Hang zum Wahnsinn wird ein verantwortungsvoller Offizier, der zwar nichts gegen das Töten hat, aber zumindest auf Seite seiner Kameraden dem Gevatter Tod entschlossen und mit dem typischen Nicolas-Cage-Dackelblick in den Arm fällt: "Es wird keiner mehr sterben!"

So wie sich dieser innere Konflikt bei Nicolas Cage in heroisches Wohlgefallen auflöst, ergeht es jedem sichtbaren Problem innerhalb der Truppe und innerhalb der Geschichte. Ein bißchen Rassismus wird durch einen einzigen GI angedeutet, der nach ein paar Beleidigungen und einem Gewaltausbruch durch einen anderen Windtalker, Private Charles Whitehorse (Roger Willie), bekehrt wird. Da ist dann Schluß mit dem verächtlichen Vergleich von "Schlitzauge" und "Rothaut" (und mit dem Identitätswechselspiel, das wir mit "John Woo" assoziieren dürfen). Wer kann schon einem Navajo übel sein, wenn er ihm so edel mit dem ganz in Indianerart geworfenen Indianermesser das Leben rettet? Und überhaupt: War ja eh Blödsinn, diese Diskriminierung, weil doch gerade Yahzee und Whitehorse sich als zwei der tapfersten und wertvollsten Soldaten erweisen.

Diese Vollbewältigung aller etwaigen Schwierigkeiten auf dem Weg zum besinnlichen Schlußbild und -wort ist gerade angesichts des zeitgenössischen Kriegsfilms besonders langweilig. Einmal mehr ist der Krieg im Kino nicht nur ein Ort, an dem Probleme kulminieren, sondern auch der Modus ihrer Auflösung. Die männliche Kriegserfahrung macht uns gleich, nur wer "dabei gewesen" ist, kann mitreden _ und dank Filme wie "Windtalkers" sind wir ja nun "dabei gewesen". Das Fazit in Ridley Scotts "Black Hawk Down", ein Prinzip der oral history, gibt auch für "Windtalkers" den Ton an: "Wenn ich nach Hause komme und sie mich fragen, warum ich da war, ob ich ein Kriegsjunkie sei, werde ich nichts sagen. Weil sie nicht verstehen werden. Weil sie nicht verstehen, worum es geht: um den Mann neben dir."


Diskussion des Textes bei: filmkritik.blogspot.com




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Fernsehen auf großer Leinwand?


Michael Althen, Andreas Kilb, Peter Körte, Bernd Eichinger und Nico Hofmann unterhalten sich aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2001, Nr. 278 / Seite 61

Dem deutschen Kino geht's gut, sagen die Zahlen. Fast achtzehn Prozent betrug der Marktanteil deutscher Filme bislang im Jahr 2001, und "Der Schuh des Manitu" steuert auf den zehnmillionsten Besucher zu. Das deutsche Kino gibt es gar nicht mehr, es wird vom Fernsehen aufgefressen, sagt nicht nur der Regisseur Romuald Karmakar. Beides trifft so nicht zu, widersprechen Bernd Eichinger und Nico Hofmann. Der zweiundfünfzigjährige Eichinger ist der erfolgreichste deutsche Filmproduzent. Von "Der Name der Rose" bis zu "Das Geisterhaus" hat er zahlreiche internationale Kinoproduktionen zustande gebracht, mit den "Werner"-Filmen und "Ballermann 6" deutsche Kassenerfolge produziert, gelegentlich selbst Regie geführt (fürs Fernsehen "Das Mädchen Rosemarie", fürs Kino "Der große Bagarozy"), aber auch fürs Fernsehen produziert ("Opernball", 1998, oder "Vera Brühne", 2001). Als fünfundzwanzigprozentiger Teilhaber der börsennotierten Constantin Film AG ist Eichinger zudem als Verleiher erfolgreich. Der einundvierzigjährige Nico Hofmann hat als klassischer Autorenfilmer ("Land der Väter, Land der Söhne", 1989) begonnen und sich später mehr und mehr aufs Fernsehgeschäft verlegt. Als Regisseur drehte er unter anderem "Der Sandmann" (1995) und den Kinofilm "Solo für Klarinette" (1998). Als Geschäftsführer der Firma teamWorx hat Hofmann zuletzt Fernsehmehrteiler wie "Der Tunnel" und "Tanz mit dem Teufel" produziert. F.A.Z. Romuald Karmakar hat im Interview mit dieser Zeitung kürzlich gesagt: "Es gibt kein deutsches Kino mehr." In welcher Funktion sind Sie beide denn heute hier, wenn diese Aussage zutreffen sollte?

EICHINGER: Wenn ich will, verstehe ich, was Karmakar meint. Wir müssen aber erst mal eine Definition finden, was deutscher Film überhaupt ist. Denn es gibt ja auch nicht den amerikanischen Film, da die Filmemacher in Hollywood aus der ganzen Welt kommen. Prinzipiell ist Kino ein viel globaleres Unternehmen, als daß es territorial abzugrenzen wäre. Karmakar beschwert sich darüber, daß es bestimmte Themen nicht gibt. Was er beklagt, ist das Fehlen eines Kinos, das über die Befindlichkeiten in Deutschland berichtet. Da kann man natürlich mit Recht fragen, warum das so ist. Und da kommen wir zum Hauptpunkt. Wenn man in die Geschichte des eigenen Landes geht, dann hat man es, speziell wenn es in die Vergangenheit geht, mit Sujets zu tun, die nicht mehr zu bewältigen sind. Man kann mit dem Budget, das man hier maximal zusammenbekommt, also etwa zehn Millionen Mark, keinen Film über die siebziger Jahre mehr ausstatten.

Warum bekommt man denn nicht mehr als zehn Millionen Mark?

EICHINGER: Weil die Begrenztheit des deutschsprachigen Marktes eine Refinanzierung sonst unwahrscheinlich macht.

Was ist mit der Filmförderung?

EICHINGER: Sie ist nicht ausreichend.

Das ist doch eine furchtbare Situation.

EICHINGER: Ja, wenn man diese Filme haben will, dann müssen Bund und Länder sie, ähnlich wie das beim Theater passiert, massiv unterstützen. Es gibt Beispiele aus Frankreich, wie man das macht. Das Fernsehen trägt in Frankreich wie übrigens auch in anderen europäischen Ländern ungleich mehr zur Finanzierung von Kinofilmen bei. Man kann daher in Frankreich Budgets von bis zu zwanzig oder dreißig Millionen Mark zusammenbekommen. Mit solchen Budgets können auch wir in Deutschland herausragende Filmwerke machen, wie beispielsweise "Das Boot" gezeigt hat. Sonst bleibt uns im Prinzip nur das Genre der Komödie, die man für relativ billiges Geld herstellen kann. Ich rede da nicht nur von materiellem Aufwand, sondern von Genauigkeit, Ruhe und Präzision bei der Arbeit - also Zeit. Wir rechnen hierzulande mit maximal 45 Drehtagen für einen Film. Der vielgerühmte französische Film "Amélie" hatte hingegen 90 Drehtage - und die Hälfte davon hat das Fernsehen bezahlt. Sicherlich, Frankreich hat ein zentralistisches System. Bei uns liegt die Kulturhoheit nun mal bei den Ländern. Wenn man sich hier aber zu der Überzeugung durchringen könnte, daß Film ein wichtiges nationales Gut ist, wird man dafür auch entsprechende Gesetze und Voraussetzungen schaffen.

Wer soll denn diese Überzeugung haben - Herr Nida-Rümelin, der Kulturstaatsminister? Die Länderförderungen?

EICHINGER: Man kann das nicht an Personen festmachen. Man kann nicht einfach sagen: Da ist der Nagel, da schlag' ich ihn rein - Problem gelöst. Es ist ein spezifisch deutsches Problem, daß der Film im Verhältnis zu Theater oder Oper nicht als gleichrangige Kunstform angesehen wird. Natürlich ist da auch ein Kulturminister aufgerufen, daran etwas zu ändern.

HOFMANN: Es ist auch wichtig zu sehen, daß man in Frankreich beispielsweise eine völlig andere Tradition hat im Verhältnis zwischen Publikum, Markt und Kino als in Deutschland. Ich glaube, daß die deutsche Filmgeschichte intervallartig abläuft. Es gab eine Ära Fassbinder, fast eine Ära Karmakar, es gab kommerziellen Neubeginn mit Wolfgang Petersen oder Sönke Wortmann, also ein ständig wechselndes Muster, was Tendenzen betrifft. Ich empfinde die Kinotradition in Frankreich als viel gewachsener. Übrigens auch das Zusammenspiel zwischen Presse, Kritik, dem Publikum und den Filmemachern selbst steht in einer völlig anderen Wertschätzung, auch im populären Bereich. Eine ganz wesentliche These Karmakars war ja: Gewisse Filme finden im Kino gar nicht mehr statt. Und gewisse Programme werden plötzlich vom Fernsehen produziert. Ich nehme ein Produkt aus unserem Hause: Wir haben zum Beispiel den neuen Christian-Petzold-Film "Toter Mann" produziert. Dieser Film hat 2,35 Millionen Mark gekostet und ist eine reine teamWorx-Auftragsproduktion für das ZDF. Wir haben gemeinsam mit dem ZDF die Kinokopie für Hof finanziert ohne jede Förderung. Auch "Der Tunnel" ist ohne Kinogeld nur mit Mitteln der Fernsehfilmförderung produziert und erweist sich geradezu als Exportschlager - auch im Kinobereich. Man sieht daran, wie verrückt der Markt funktioniert. Und meine These ist ja, daß im Moment die interessanten Projekte teilweise im Fernsehbereich ablaufen.

Helfen denn Produktionen wie "Der Tunnel" oder "Vera Brühne" dem deutschen Film überhaupt weiter?

HOFMANN: Ich finde die Frage komplexer. Denn beide sind beachtliche Filme. Spannender finde ich zu definieren, welche Art Film wir uns vorstellen, wenn wir vom "deutschen Film" sprechen. Es gibt einen Unterschied zwischen "Aimée und Jaguar" und dem "Boot" in der Zielrichtung internationaler Markt. Man muß definieren, für welchen Markt, für welchen Anspruch diese Filme gemacht sind. Und man kann die ketzerische Frage stellen: Wäre "Aimée und Jaguar" anders oder besser geworden, wenn der Film zehn Millionen Mark mehr Budget gehabt hätte? Oder wäre "Der Tunnel" ein anderer Film geworden, wenn er zwanzig Millionen Mark mehr Budget gehabt hätte? Ich würde die Frage nicht ultimativ mit Ja beantworten. Ich will nur auf eine neue Wertigkeit bei der Betrachtung der Budgets zwischen hochkarätigen Fernseh-Events und deutschen Kinofilmen hinweisen. Dazu kommt: Der französische Fernsehmarkt beispielsweise ist erbärmlich schwach. Wir exportieren zur Zeit unsere ganzen Produkte nach Frankreich. Der deutsche Fernsehmarkt ist unendlich stark geworden in den letzten sechs, sieben Jahren. Mittlerweile sieht jedes mittelmäßige Pro7-TV-Movie fast besser aus als hochwertig geförderte Kinofilme.

Heißt das: Das Kino steigt ab und das Fernsehen auf?

EICHINGER: Wir können hier reden, solange wir wollen, Tatsache bleibt, daß mehr Geld investiert werden muß, wenn es eine kontinuierliche Kinokultur in Deutschland geben soll. Bei uns sieht man jede Person, die man im Fernsehen sieht, auch im Kino. Es gibt keine Trennung. Das wäre aber wichtig. Jeder Kinoregisseur kann zwar mal einen Fernsehfilm machen wollen, aber er muß vom Kino leben können. Eine Callas kann nicht abends in der Mailänder Scala singen und am Vormittag in irgendeiner Operette auf dem Land.

HOFMANN: Das ist ja gerade der Unterschied zu Amerika. Dort wird eine genaue Segmentierung vorgenommen: Serie, movie of the week, event movie und Kino. Und es ist ganz klar, daß Überschneidungen in der Karriereplanung von Schauspielern es unmöglich machen, daß jemand in einer kleineren TV-Produktion spielt und gleichzeitig im nächsten Spielfilm von Scorsese mitwirkt. Bei uns in Deutschland leben aber 80 Prozent aller Beschäftigten in diesem Markt vom Fernsehen, und das Fernsehen dominiert auch den Starkult.

EICHINGER: Im Fernsehen sieht man sehr deutlich, um was es geht. Auf der ganzen Welt arbeiten die Fernsehanstalten mit fast demselben Geld. Ein durchschnittlicher Fernsehfilm, der in Amerika hergestellt wird, kostet ähnlich viel wie ein Fernsehfilm in Deutschland. Und siehe da: Dort, wo man standhalten kann, wo man im gleichen ökonomischen Umfeld arbeitet, sagt das Publikum plötzlich: Wir möchten aber viel lieber die deutschen Produktionen sehen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß das, wenn eine gewisse Ausgewogenheit da wäre, nicht auch im Kino gelingen würde.

Wann immer ein deutscher Kinoregisseur einen Film drehen will, ist das Fernsehen schon da. Die Filme, die dann fürs Kino gemacht werden, sind in ihrer Dramaturgie und Ästhetik völlig vom Fernsehen imprägniert. Wie soll man da rauskommen?

HOFMANN: Es sind zwei Dinge bemerkbar: Der Kinomarkt ist heute viel schwieriger geworden als noch vor drei, vier Jahren. Das hat damit zu tun, daß es immer weniger Verleiher gibt. Und am wenigsten sind jene Kinoverleiher übriggeblieben, die riskante Arthaus-Projekte ins Kino bringen. Plötzlich fühlen sich die Sender auch notgedrungen für den Arthaus-Bereich zuständig: Sie sind die letzte Bastion, wenn es um die Finanzierung solcher Projekte geht. Und diese Segmentierung ist interessant, die gibt es in Frankreich überhaupt nicht. Dort hat man den populären Film neben dem anspruchsvollen im Kino, und das hat übrigens auch mit der Filmkritik zu tun.

Es gibt doch aber Filme, die verrissen wurden und erfolgreich waren, während andere, die hoch gelobt wurden, beim Publikum durchfielen.

HOFMANN: Ich bin überzeugt davon, daß Kritiken Auswirkungen haben auf den Erfolg eines Kinofilms. Ohne ein großes Bündnis, durchaus ein kritisches, gelangt man im Moment mit einem deutschen Programm weder im Fernsehen noch im Kino zum Erfolg. Es gibt in Deutschland eben Kunstfilme, dazu braucht es die Kritik. Es gibt Komödien und populäre Stoffe wie "Werner beinhart" und "Das kleine Arschloch" - alles wunderbare Filme -, die brauchen keine Kritik.

EICHINGER: Gut, man braucht die Kritik beim "Schuh des Manitu" nicht, aber ich fand es schade, daß gar keine stattgefunden hat. Wie kann das sein, daß so ein Phänomen im Feuilleton überhaupt nicht stattfindet?

Es gibt immer wieder anspruchsvolle Filme in Deutschland und andererseits kommerzielle Filme wie "Der Schuh des Manitu", die sehr erfolgreich sind. Zwischen diesen beiden Polen, zwischen denen sich der deutsche Film seit dreißig Jahren bewegt, gibt es eine Form, die mittlerweile im Kino gar nicht mehr existiert, und das ist der Krimi. Warum gibt es in Deutschland keine Krimis?

HOFMANN: Meine These ist, daß ausgerechnet dieses Genre vom Fernsehen seit dreißig Jahren mit am erfolgreichsten besetzt wurde. Der "Tatort" ist ein Klassiker, aber in den letzten fünf Jahren wurde der Markt regelrecht mit Thrillern und Krimiserien überschwemmt. Inzwischen ist das etwas abgeflaut, die Leute wollten mehr Romantic Comedy und Love-Stories. Langsam steigt das Interesse an Krimis wieder, aber diesen Trend sehe ich ausschließlich im Fernsehen.

Ist dem anspruchsvollen Film denn dadurch geholfen, daß der "Schuh des Manitu" zehn Millionen Zuschauer hat? Fließt irgend etwas von dem Geld oder der Risikobereitschaft zurück? Oder der Achtungserfolg vom "Tunnel" im Ausland: Wird der irgend etwas bewirken?

EICHINGER: Mit jedem erfolgreichen Projekt hat man etwas mehr Luft für was Neues. Es stärkt das Selbstbewußtsein. Wenn man eine schlechte Phase hat, wird man immer zögerlicher, wenn man aber gut ist, wird man immer aggressiver, weil man sagt: Jetzt wird das probiert. Und aus dieser Aggressivität entsteht ja auch viel Gutes.

HOFMANN: Ich möchte noch eines ergänzen: Das eine ist die klare kommerzielle Linie, daß der Produzent sagt, ich muß Geld verdienen, um andere Projekte finanzieren zu können.

EICHINGER: Also, ich weiß bis heute im voraus nicht, was kommerziell ist.

HOFMANN: Ich nehme meine "Tunnel"-Einnahmen aus dem Ausland, die erklecklich sind, und stecke sie in neue Projekte, beispielsweise in den neuen Film von Christian Petzold, den wir im nächsten Jahr produzieren. Die Frage aber, ob Sie als Produzent generell mit ausschließlich einer Produktlinie "künstlerischer Film" überleben können, die würde ich mit Nein beantworten. Der Produzent, der sich ein Jahr seines Lebens nur einem einzigen künstlerischen Projekt verschreibt, den gibt es immer seltener. Sie brauchen mittlerweile ein breites Produktionsportfolio - vom "Tunnel" über die Oetker-Entführung "Der Tanz mit dem Teufel" bis zu "Toter Mann" von Petzold als rein künstlerischem Film -, um zu überleben.

Womöglich muß man sich mal von der Illusion trennen, es gebe hierzulande unglaublich viele verheißungsvolle Projekte, die wegen der Ignoranz von diversen Geldgebern nicht zustande kommen. Im Grunde geht Herr Eichinger ja noch weiter, indem er sagt, es gebe immer noch zu viele deutsche Filme, die ins Kino kommen, ohne Chancen zu haben. Wie kann man das ändern?

EICHINGER: Ich glaube wirklich, man muß die Produktion runterfahren.

Man muß doch die Förderung so ändern können, daß es mehr gute Filme gibt.

EICHINGER: Im Moment haben die allermeisten Produzenten nicht die Möglichkeit, ihre Filme selbst zu "greenlighten". Sie können Stoffe nur vorschlagen, und zwar dem Fernsehen und den Förderungsgremien. Wenn einer von beiden nein sagt, kann der Film nicht gemacht werden. Also werden nur Stoffe vorgeschlagen, wo das wahrscheinlich ist. Dem könnte man zum Beispiel durch eine drastische Erhöhung der Referenzmittel beikommen, sonst sehen wir im Kino nur, was ohnehin auch im Fernsehen läuft.

HOFMANN: Ich finde die neue Experimentierfreude bei den Sendern in den letzten Jahren sehr erfreulich. Es ist toll, daß jetzt auch Fernsehredakteure Lust auf einen Dogma-Film bekommen und diese Formen unterstützen. Die neuen Nachwuchsfilme haben eine gewisse Radikalität. Benjamin Quabecks "Nichts bereuen", eine Koproduktion des WDR, oder Stefan Krohmers vielbeachtete ARD-Arbeit "Ende der Saison" gehören hier dazu. Solange diese Nachwuchspflege stattfindet, funktioniert das Zusammenspiel mit den Sendern durchaus. Ich plädiere allerdings für eine viel klarere Trennung zwischen Fernsehmarkt und Kinomarkt.

Wenn Kulturstaatsminister Nida-Rümelin sagt, Film müsse stärker als ein Kulturgut wahrgenommen werden - was halten Sie davon?

EICHINGER: Das ist schon ein Signal in die richtige Richtung. Natürlich ist Film ein Kulturgut. Wenn man will, daß Leuten im Kino etwas über das Bewußtsein eines Landes berichtet wird, muß man etwas dafür tun. Sonst wird das alleine Sache des Fernsehens - was im Prinzip ohnehin schon der Fall ist. Auch unter dem Aspekt muß man das Kartell der Fernsehsender endlich mal beleuchten.

HOFMANN: Die deutschen Sender fühlen sich unheimlich selbstbewußt, weil sie wissen, daß sie achtzig Prozent des Film- und Fernsehmarktes dominieren. Die Intendanten der großen Sender würden auf Nachfrage stolz sagen, daß der cineastische Kulturbegriff in Deutschland sehr stark durch das Fernsehen geprägt ist. Gerade hier brauchen wir aber wieder eine gesunde Trennschärfe: Was ist ein TV-Movie, ein großer TV-Event, und was ist wirklich großes Kino? Und wenn wir dann von Kino sprechen, dann sollte allen Senderchefs klarwerden, daß sie an hochwertigen Kinoproduktionen ein genauso großes Interesse haben sollten wie zum Beispiel Canal+ in Frankreich, ein Sender, der sich mit sehr viel mehr Geld an großen Kinofilmen beteiligt, als wir das in Deutschland gewohnt sind.

EICHINGER: Die Trennung zwischen Kino und Fernsehen muß auch redaktionell stattfinden. Man kann keinen Fernsehredakteur auf ein Kinoprojekt ansetzen. Es entstehen auf diesem Weg doch bestimmte Ideen gar nicht erst. Man muß den Einfluß zurücknehmen, den das Fernsehen auch auf die Verteilung der Fördergelder nehmen kann. Es wird viel getan bei den Sendern, es gibt durchaus Freiheiten - und trotzdem muß eine Trennung vom Kino stattfinden. Es ist ein unglaublich filigranes Gefüge, einen Kinofilm zu machen. Wenn eine Winzigkeit nicht stimmt, ist im Kino sofort die Luft raus, kann aber im Fernsehen trotzdem noch gutgehen.

Das Gespräch führten Michael Althen, Andreas Kilb und Peter Körte.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2001, Nr. 278 / Seite 61




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