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Mittwoch, 31. August 2005
Nochmal Marseille D 2004, Regie: Angela Schanelec Das Anfangsbild: ein Blick von der Rückbank aus nach vorne, aus der Frontscheibe eines Autos heraus. Man sieht den Nacken der Fahrerin und angeschnitten ihr Gesicht. Die Geräusche im Innenraum - das Gerumpel durch die Unebenheiten der Straße, Gasgeben, Kuppeln, nochmal Gasgeben - sind von Anfang an sehr präsent, fast überdeutlich, das bleibt auch im weiteren Verlauf des Films so. Das Rascheln der Plastiktüte zum Beispiel, als Sophie Lebensmittel in den Kühlschrank einräumt, legt sich als irritierende Tonblende über einen Schnitt: Es raschelt weiter, aber nach dem Schnitt sind wir nicht mehr in ihrer Wohnung, sondern beim Epicier, der an der Kasse ihre Einkäufe einpackt. Die ersten gesprochenen Worte des Films: Tu connais le coin? Kennst du das Viertel? Nein. Anhalten, Aussteigen, einen Stadtplan kaufen: Un cadeau. Zwei Frauen haben die Wohnungen getauscht. Auf unbestimmte Zeit lebt Sophie, die aus Berlin kommt, jetzt in Marseille. Beide Frauen kennen sich nicht; das wird, wie alles hier, sehr indirekt klargemacht, als Sophie fragt, ob die Französin Deutsch spreche. "Guten Tag. Auf Wiedersehen. Mein Freund der Baum ist tot." Dann ein kurzer Abschied. Eine halbe Stunde lang bin ich allein mit jemandem, der allein in einer fremden Stadt ist. Die langsame Annäherung, die sich zwischen Sophie und Marseille abspielt, bildet deshalb auch das Verhältnis zwischen mir und Sophie ab. Eine Stadt kennenlernen, einen Menschen kennenlernen, das ist - Sophie fotografiert - über Blicke gesteuert. Was bedeutet, dass mir viel Zeit eingeräumt wird, jemandem beim Sehen zuzusehen. Schon in der Wohnung, ganz zu Beginn, weist die Blickachse einmal aus dem Bild heraus in die Ferne, dahin, wo den Geräuschen nach der Hafen zu vermuten ist. Die Kamera lässt diesem Blick keinen Gegenschuss auf das Gesehene folgen; man müsste das Erblickte schon im Blick erkennen oder es sich, von diesem Blick ausgehend, selbst ausmalen. Das Geschäft, in dem Sophie regelmäßig einkauft, von der gegenüberliegenden Straßenseite fotografiert. Im Vordergrund, unscharf, schleift jemand ein Auto ab. Auch hier ist der Ton ganz weit vorne, ein manchmal verwirrendes Durcheinander unterschiedlicher Stadtgeräusche. Städte sind laut, immer, überall, hat Angela Schanelec sinngemäß mal in einem Interview gesagt. Sophie überquert die Straße, geht in den Laden hinein, die Kamera wartet geduldig, bis sie wieder herauskommt und nach links das Bild verlässt. Der exakte Gegenschuss zu dieser Einstellung, aus dem Laden heraus, in dem Sophie im Vordergrund an der Kasse steht, kommt mehrere Minuten später. Jetzt erst erkenne ich die Treppe, die sie vor ein paar Tagen heruntergegangen ist, die Autos, die dort in der Werkstatt umlackiert werden, den Mann von vorhin hinten im Dunkel der Garage. Ivan ist Fotograf, Hanna Schauspielerin. Auf den Sohn der beiden passt Sophie manchmal auf. Es gibt zwei lange Exkurse in Hannas und Ivans Alltag: Einmal zeigt der Film Ivan beim Fotografieren der Arbeiterinnen in einer Waschmaschinenfabrik; die Frauen, die er fotografiert, posieren im Kittel. Einmal sind wir bei einer langen Probenszene des Strindberg-Stücks dabei, in dem Hanna mitspielt. Gegen das Ungeklärte der Beziehungen steht die Klarheit der Anspannungen, die zwischen den Personen herrscht. Wo genau Sophies Platz ist, bleibt unbestimmt, es ist auch ihr selbst wohl nicht ganz deutlich. Ivan jedenfalls steht zwischen den beiden Frauen, wie sich in einem Gespräch zwischen Hanna und Sophie herausstellt, und bei Sophie, merkt man, sind Gefühle im Spiel, denen sie sich stellen müsste, wenn sie in Berlin bliebe. Wie der Strand und das Meer klingen, das habe ich bisher nirgendwo so gehört wie in den letzten Einstellungen von "Marseille". Volker Pantenburg pburg, 31. August 2005 um 17:03:46 MESZ
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