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Donnerstag, 11. Juli 2002

Die Geschichte von der Einsamkeit der Helden


von FRIEDA GRAFE

Süddeutsche Zeitung, 2.12.2000

„Ich kenne das Kino nicht gut genug, um irgendetwas fest zu behaupten“: Jean-Luc Godard und die Geheimnisse des Kinos

Der kleine Godard hat einen ganz guten Film gedreht.“ Als Lotte Eisner in ihrem unnachahmlichen Tiergarten-Berlinerisch 1960 in Oberhausen „A bout de souffle“ lobte, kannte man Godard allenfalls als Schreiber in den Cahiers du Cinéma oder aus Arts, der Wochenzeitung, wo er von 1957 bis 1959 über Filme berichtete. Seine ersten beiden Aufsätze, einer über die Montage und eine Verteidigung der klassischen Découpage, die er heute konfus und unverständlich findet, lagen quer zu dem, was in den Cahiers propagiert wurde – lange Einstellungen, Tiefenschärfe. Er erklärt das heute so: Welles und Wyler waren André Bazins Götter, und weil man nun mal gegen die Väter ist .  .  .

Godard war nicht gegen alle Väter. Cocteau nennt er bewundernd von Anfang an. Einen Geburtstagsartikel gleich am Anfang zu überschatten ist unelegant, aber Godard selbst zitiert „Orphée“ in dem ersten großen Interview, das er den Cahiers gab: das Kino erfasst vom Leben die dem Tode zugewandte Seite, den Tod bei der Arbeit; die Person, die man filmt, altert dabei und wird sterben.

Es ist üblich, ihn und seine Mitstreiter, die Kerntruppe der Cahiers, Rohmer, Truffaut, Rivette, Chabrol, verantwortlich zu machen für Autorenpolitik und mise en scène. Aber für sie waren das hauptsächlich Kampfparolen; zuallererst wollten sie, dass die, für die der Film ein Job war, eine Beschäftigung, dass diese Leute, die – kriegsbedingt – das Sagen hatten, ihre Vorstellung vom Kino änderten.

Heute sagt er es anders: Es fehlte den Leuten am kinematografischen Unbewussten. So nähert man sich am besten dem, was ihm vorschwebte, als er sich an seine „Histoire(s) du cinéma“ machte. Er klagt, niemand diskutiere mit ihm darüber, man habe sie als Filmgeschichte nicht ernst genommen und sofort als Werk des Filmemachers klassifiziert – wobei die, die ihm nicht wohlwollten, sich auf die Fehlinformationen stürzten.

Welche ihm da unterliefen, trotz der Absicherung durch seinen Schutzengel Bernard Eisenschitz, ist fraglich, auch unerheblich. Entscheidend ist der Zusammenhang zwischen seiner Zitiermethode und seinem Filmbildverständnis. Von Jean Renoir bekommt man, wenn es noch nötig ist, Schützenhilfe. Für ihn war Adaptation nur eine Form des Kinozitats. Kino ist Zitat, das Zitat gehört zur Montage.

Der Film hat das zwanzigste Jahrhundert geprägt. Er hat unser Gedächtnis verändert, wie die Perspektive seit Jahrhunderten unsere Sehweise bestimmte, dessen ist Godard gewiss. Die Erfindung des Kinos, seine einzige, seine große, ist die Montage, deren Vorform nur, weil noch zu sehr den anderen Künsten verhaftet, die von S.  M. Eisenstein war.

Die tatsächliche Montage besteht darin, zwei Dinge zusammenzubringen, in Kontakt, um ein Drittes sichtbar zu machen, das in beiden vorhanden war: „Ein Bild ist nicht stark, weil es brutal oder phantastisch ist, sondern weil es eine fern liegende Ideenassoziation zustande bringt.“ Die Montage fördert Neues zutage und entdeckt. Einer ersten, respektlosen Form wird man gewahr in seinem frühen Kurzfilm „Charlotte et son Jules“. Belmondo bewegt sich, agiert, während die Töne, die aus seinem Munde kommen, ein anderer spricht. Es ist Godards eigene Stimme, Belmondo stand zum Nachsynchronisieren nicht mehr zu Verfügung. Der Effekt, wenn auch aus Zwang geboren, ist phantastisch. Wer spielt? Wer spricht? Wer ist der Autor von was? Wie viel von ihm steckt in der Erfindung der Figur.

Godard ist der erste, der zugibt, dass seinen Filmen vieles abgeht, dass sie, in allen Genres, zurückbleiben hinter dem, was er sich vornahm: Die Amerikaner sind stark im Geschichtenerzählen, bis heute schaffen sie, übers Detail das Interesse der Zuschauer zu stimulieren.

Die von der Nouvelle Vague waren Kinder des Kriegs und von Henri Langlois. Sie waren die erste Generation von Filmemachern, nach der Okkupation, die, auch wenn ihr Medium jung war, in einer Tradition vom Filmemachen stand.

Auf frischer Tat

Godard sagt von sich selbst, er habe immer geschwankt zwischen Fiktivem und Dokumentarischem, zwischen Erzählen und Essai. Die Brüche sind seine Stärke. Die Zeit der Reflexion hat für ihn damit begonnen, nicht, dass er Einstellungen machte wie Hitchcock, wie Hawks, wie in der „Lady von Shanghai“, sondern dass er an sie denkend sich von ihnen absetzte. Die Distanz macht den ganzen Unterschied und veranlasst den Zuschauer nachzudenken – zum Denken über die Bilder und Töne, die er hört und sieht. Die Gewohnheit, in einzelnen Personen eine Meinung und eine Haltung verkörpert zu sehen, lässt uns aus der Fassung geraten, wenn wir zu überlegen haben, wie etwas gemeint ist.

Godard hat sich und seinen Freunden bei den Cahiers nachgesagt, sie hätten das Reale, das Konkrete erst spät entdeckt. Das stimmt so nicht. Es leistet denen Vorschub, die ihre Errungenschaften herabsetzen, und schränkt diese ein in ihrer Reichweite. Ihnen war anderes vordringlicher, wie, das amerikanische Kino zu verteidigen gegen das hochmütige europäische Drehbuchkino, dem Lösungen wichtiger sind als das, was das Kino zeigt. Was es bedeutete, während des Algerienkrieges „Le petit soldat“ zu drehen, zeigt das Geständnis von Massu und Aussaresses, die heute zugeben, damals gefoltert und gemordet zu haben.

Seine Geschichte gehört allen, nicht, weil sie kompletter ist, sondern weil das Kino sie hervorgebracht hat. „Allemagne année 90 neuf zéro“ kommt seinen Intentionen nicht deshalb am nächsten, weil er da seine später Liebe zu Deutschland entdeckt hat; in den frühen Geschichten nahm die Einsamkeit den Umweg über ihre Helden – hier ist die Geschichte der einsame Held.

Die Melancholie und die Selbstkritik stehen ihm gut zu Gesicht: „Ich kenne das Kino nicht gut genug, um irgendetwas fest zu behaupten.“ Er war eine Zeit lang in aller Munde – oft bei Leuten, die sich seine Filme nie angesehen hätten. Er hat das Gesicht des Kinos verändern geholfen. Seine Wort- und Bildspiele, die Eisigkeit, die einen anspringt aus „JLG – autoportrait de décembre“, sind nicht leicht auszuhalten. Er macht sie mit dem Gedanken, Veränderungen auszulösen.

Heute erklärt er Truffaut zum besten Kritiker, nachdem er ihn zwischendurch grob beschimpft hat – wen hätte er nicht schon mal angegriffen. Die Bosheit in der Provokation ist nicht ungefährlich für den, der sie ausspricht, er weiß es, aber der Drang zu ihr ist größer. Die Bilder und Töne vom Realen, die Godard zusammengebracht hat, decken ein ganzes Jahrhundert. Er hat sich vorgenommen, dem Geheimnis des Kinos auf den Grund zu gehen. Das garantiert ihm für immer unseren Dank.




 
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