new filmkritik für lange texte |
... Vorige Seite
Montag, 10. März 2003
Einige Reflexionen über Film, Totenkult und Terror Stalin – eine Mosfilmproduktion Dokumentarfilm von Oksana Bulgakova, Frieda Grafe und Enno Patalas WDR 1992 Wiedergesendet in WDR III am 7. März 2003 Eine Einstellung in diesem Dokumentarfilm hat mich sehr elektrisiert: Während der Konferenz von Jalta Anfang 1945, wo sich Stalin mit Roosevelt und Churchill über eine Nachkriegsordnung beriet, hat sich ein russischer Kameramann im Garten der Villa versteckt und kann nun Stalin filmen, der in einer Pause allein mit seinen Gefolgsleuten dorthin kommt und ein Blatt von den Lorbeerbäumen abbricht. Das Bild zeigt Stalin, wie er das trockene Blatt mit den Fingern zerreibt und sehr ausgiebig daran riecht. Freudig erregt schreitet er dann in Richtung auf das Versteck des Kameramannes, entdeckt ihn und lacht. Vor vielen, vielen Jahren bin ich einmal dem Lorbeer auf eine andere Weise begegnet. Ich wollte unbedingt das Grab von Stefan George in Minusio bei Locarno besuchen und erschrak, als ich die sieben Lorbeerbäume sah, die um das Grab in Kübeln und wie Bonsais herum gruppiert standen. Damals schon kannte ich ein wenig die Geschichten von Daphne, die Ovid und andere erzählen: Daphne, eine Priesterin der Mutter Erde, konnte sich vor den Nachstellungen Apollos nur retten, indem sie sich liebesunfähig machte und in einen Lorbeerbaum verwandelte. Daraus windet sich Apollo dann seinen Kranz. Lorbeer ist seit Urzeiten das Zeichen eines mächtigen Totenkultes, der alles Lebendige und alle Lebenden zur Erstarrung bringt. Am Anfang dieses 5-teiligen Dokumentarfilms sieht man russische Menschen, die in Massen am aufgebahrten Lenin in seinem Sarg vorbeidefilieren. Am Ende dieses Films sieht man russische Menschen, die in Massen am aufgebahrten Stalin in seinem Sarg vorbeidefilieren. Der Film zeigt wie Stalin, der über Leichen ging und nur über Leichen, sich ein Bild seiner Person entwirft, das vor dem Hintergrund der Legende des toten Lenin entsteht. Seine Tyrannei entwickelt sich im Schatten und vor dem Hintergrund des Lenin-Mausoleums. Am Ende des Filmes sieht man das Lenin-Mausoleum, wie junge russische Soldaten Anfang der 90er Jahre daran vorbeigehen, als seien sie kaum noch von dieser Geschichte berührt. Zeugen, Kameramänner, Filmschaffende, Filmproduzenten aber auch Filmhistoriker wie Naum Klejman, der Eisenstein-Spezialist, erzählen, was sich hinter den Kulissen dieser Totenkult-Inszenierungen abspielte. Sie erzählen, wie Stalin alle Mittel des Films für eine Inszenierung seiner Gestalt, seiner Geschichte, seiner Politik nutzte. Einmal heißt es beinahe lapidar von einem Zeugen: es seien wohl nur die Orchestermitglieder und die Ballerinen des Bolschoi-Theaters und die Filmschaffenden gewesen, die Stalin von seinen Verfolgungen ausnahm. Erschreckend für mich auch diese Einsicht nach dem Sehen des Films: die wirklichen Erkenntnis über die Ausmaße des Stalin-Terrors werden erzählt von russischen Filmveteranen, die in einem Altersheim für Filmschaffende vor den Toren von Moskau leben, und von Museumsleuten, die professionell mit der Aufarbeitung der Vergangenheit des russischen Films beschäftigt sind. Erschreckend die Einsicht, dass erst im Nachhinein, in großem Abstand von dem eigentlichen Geschehen, deutlich werden kann, was sich wirklich abspielte und dem Tod im Leben der Menschen eine solche mächtige Maskerade verlieh. Eine Maskerade des Todes auch deshalb, weil nach dem Tod Stalins seine Nachfolger ebenso so schnell darangingen, die Spuren seines Auftretens in den filmischen Dokumenten zu löschen und zu retuschieren. Bis in die Details erzählt der Film, wie Stalin der Drehbuchautor seiner Herrschaft mit ihren Kriegen und Schlachten wurde, wie er z. B. einen Schauspieler, der in Aussehen und selbst mit georgischem Akzent ihm sehr ähnlich war, und mit ihm oft verwechselt wurde, ersetzen lässt durch ein anderen Typus, der keinerlei Ähnlichkeit mit ihm aufweist, dafür aber den Typus des Feldherrn und Schlachtenlenkers viel besser trifft. Stalin, der sich als eine Art Gott der Geschichte und in der Geschichte verstanden, konnte dies auf eine heute so deutlich sichtbare und nachvollziehbare Weise nur tun, weil er sich selbst aller Mittel bediente, die es erlaubten, die Darstellung seiner eigenen Person, ihrer Ausstrahlung und Wirkung, vor allen Dingen letzterer, selbst zu kontrollieren. Alle Drehbücher der russischen Filmproduktion gingen über seinen Schreibtisch und wurden von ihm buchstäblich auf Punkt und Komma überprüft. Einige Male macht der Film deutlich, wie sehr sich Sergei Eisenstein dem Einfluss Stalins zu entziehen versuchte, wie aber sehr schnell andere Regisseure um so bereitwilliger an seine Stelle traten und die genauen Vorgaben der Inszenierung erfüllten. Dieser Dokumentarfilm leistet etwas Besonderes, was das Gros der zeitgenössischen Dokumentarfilme durch Besserwisserei, Effekthascherei und somit Vordergründigkeit verhindert. Seine Bilder, Gespräche und Kommentare stecken voller Anspielungen und Überraschungen. Sie lassen etwas anklingen, ohne darauf zu insistieren. Sie lassen jede Aussage, jedes Detail, jede Einstellung zu ihrem Recht kommen. Vor allen Dingen spielen sie die Bilder, die sie zeigen, und die Zeugen, die sie zu Wort kommen lassen, niemals gegeneinander aus, und sie verleihen so den Bildern und Worten in ihrer Vielstimmigkeit eine einzigartige Zeugniskraft zurück. - Allein solche filmischen Zeugnisse helfen gegen die Erstarrungen von Totenkult und Terror, gegen das Vergessen. Manfred Bauschulte filmkritik, 10. März 2003 um 22:15:52 MEZ ... Link Montag, 10. Februar 2003
Das große Glück der kleinen Leute Ist die RTL Sendung "Deutschland sucht den Superstar" ein weiterer, vielleicht der endgültige, Beleg für den oft beschworenen Tod von Pop? Von MICHAEL GIRKE Die Popshow "Deutschland sucht den Superstar" ist das derzeit erfolgreichste Programm im deutschen Fernsehen. Sogar BILD-Kommentatoren, nicht bekannt dafür jemals ein gutes Wort für Rap eingelegt zu haben, sind begeistert: "In Deutschland sucht den Superstar bei RTL kämpfen junge Menschen darum, dass ihre Ziele wahr werden. Dass sie ihre Träume verwirklichen. Dass sie es ganz nach oben schaffen. Leidenschaftlich und kompromisslos. Deutschland fiebert am Bildschirm mit" (BILD, 20.01.03). Womit hat Pop BILD-Lob verdient? Der Kommentar, inmitten seiner freundlichen Anteilnahme, gibt erbarmungslos Auskunft. Träume und Leidenschaften werden in den vorherrschenden Diskurs unserer Zeit zurückübersetzt, in den Diskurs der Wirtschaftsinteressen, des Egoismus, des kompromisslosen Wettbewerbs aller gegen aller. Die Form der Sendung scheint dieser Interpretation recht zu geben. In einer Deutschland weiten Kampagne wurden junge Leute, die sich für Showtalente mit großer Stimme halten, aufgerufen sich zu bewerben. Eine Jury - ein Bertelsmann Chef, Deutschlands erfolgreichster Musikproduzent und zwei Journalisten – sortierte in langen Wochen die nicht Begabten aus. Den verbliebenen TeilnehmerInnen werden gesangliche Aufgaben gestellt, die sie jeden Samstag live um 21 Uhr 15 bei RTL zu lösen haben. Die Jury kommentiert die Darbietungen, das Publikum entscheidet, wer ausscheidet. Wer ganz am Ende übrig ist, ist Superstar. Die lange Laufzeit der Sendung ist wohl kalkuliert. Durch sie erst stellen sich Emotionen ein. Man sieht nicht hinter die Kulissen, in die Büros der Macher. Aber sonst sieht man alles: Das Nervenflattern, die gezwungene Lässigkeit der TeilnehmerInnen vor der Entscheidung. Die Erleichterung, die triumphalen Ausbrüche derer, die dabei bleiben. Die Verzweiflung oder die Wut der Verlierer. Alles wird in Großaufnahme gezeigt und dann immer wieder in Zeitlupe. Das Publikum fühlt sich intim mit den Teilnehmern. Ebenso mit der Jury und den Moderatoren. Emotion ist Technik geworden. Intimität ein kommerziell auszuwertender Effekt. Fanclubs entstehen, die Boulevardpresse tut manchen privaten Abgrund der Superstars auf, das Feuilleton kann dazu nicht schweigen. Wie schon bei "Big Brother" läßt sich Wirklichkeit bereitwillig zur Seifenoper machen. Was das mit Pop zu tun hat? Im Verlauf der Sendung werden Hits und Klassiker aus allen guten Zeiten der populären Musik gesungen. Und die Vorstellung, welche die jungen Superstars von sich selbst haben mögen, steht, zur Hymne geworden, seit Wochen an der Spitze der deutschen Charts: "We have a Dream; Music is our Life." Das Leben als Bühne. Ewige Utopie des Pop, wie schon des Theaters und des Kinos. Die Wertlosigkeit der RTL Show scheint evident, gegenüber den Standards, die Pop im Laufe seiner Geschichte entwickelt hat. Niemand in dieser Sendung ist auf der Suche nach einer eigenen Stimme, wie sie Elvis, die Beatles, Joni Mitchell, Public Enemy oder, in Deutschland, die Band Blumfeld entwickelt haben. Im Gegenteil, die Jury flüstert den Teilnehmern laufend Vorstellungen vom Startum ein, die aus den Eigenschaften dominierender Stars der letzten Jahre imaginär zusammengeflickt sind, wie das traurige Monster des Dr. Frankenstein. Und immer haben die kommenden Superstars nichts eiligeres zu tun, als sich beflissen alles Eigene auszutreiben. Rüttelt da jemand in einer von RTL live ausgestrahlten Sendeminute an Bildungs- und Klassenschranken, öffentlichen Denkverboten und Tabus? Strahlt die Mattscheibe samstags heller als sonst, geht von RTL ein gerüttelt Maß an Glamour aus, also diese verführerische, schwindelerregende Qualität der großen Diven von Marlene Dietrich bis David Bowie? Die Antworten liegen auf der Hand. "Deutschland sucht den Superstar" ist der hoch professionelle Schund, den Medienbosse und Produzenten sich ausdenken, um sich zu beweisen, daß sie das Heft der Popwelt in der Hand haben. Und daß die Jugend für ‘nen Appel und 15 Minuten Medienpräsenz zu wirklich allem bereit ist. Nur ist die Jugend schon lange nicht mehr die Jugend. Es gibt sie nicht mehr als diese gigantisch große Gruppe, die sich einig ist in der Liebe zu Elvis oder einem anderen neuen Geist. Das Poppublikum ist zersplittert in größere bis allerkleinste Fan- und Altersgruppen und Marktsegmente. Sogar Werbeclips für Kartoffelchips haben erklärte Anhänger. Als Konsequenz hat der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen Pop aufgeteilt in Pop 1 und Pop 2. Pop 1, das war die Zeit, als Popstars zugleich auf kommerzieller, künstlerischer und politischer Ebene Freiheiten und Spielräume durchsetzen wollten und durchsetzten gegen die Unterhaltungsindustrie. Pop 2, das ist die Gegenwart. Die ist geprägt von zunehmenden Monopolen der Mediengiganten; von Musiksendern, die zu reinen Dienern der Verwertungsinteressen der Monopolisten verkommen sind; und davon, daß Pop Rassisten und anderen Rechten, die ihn benutzen, keinen wirklichen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Folgt man diesem Modell, gehört "Deutschland sucht den Superstar" zu Pop 2. Zu diesem leeren, korrupten, aber profitablen Karneval. Aber: Ist diese Aufteilung des Pop nicht ein wohlfeiles Muster, daß man sich heranholt, um nicht vor der alten Zeit erschrecken zu müssen? War Pop nicht immer auch so wie "Deutschland sucht den Superstar" es auf den Punkt bringt? Die zurecht gefeierte künstlerische Eigenständigkeit von Stars wie den Beatles oder Madonna, sie mußte ausbeutenden, geldgeilen Managern, Produzenten, Plattenkonzernen erst abgerungen werden. In oft furchtbaren quälenden Auseinandersetzungen. Viele sind auf diesem Weg tragisch gescheitert. Aber das kann kein Grund sein, ihn gar nicht mehr zu gehen. Daß ihn welche gegangen sind, davon profitiert die populäre Kultur bis heute. Ist es ausgeschlossen, daß einer der Superstars ein kühl kalkulierender oder sehr eigener Kopf ist? Der eine Gelegenheit nutzen will, um eine ihm zugedachte öffentliche Rolle zu konterkarieren und im Showgeschäft eine trotzige kleine Individualität durchzusetzen? Großes Glück von kleinen Leuten. Um nichts anderes geht es in "Deutschland sucht den Superstar." Als klein erscheinen der populären Kultur zugeneigte Leute, wenn man sie betrachtet mit den Augen der Elite. Mit den Augen der traditionellen bürgerlichen Kultur. Hinter den Vorbehalten gegen Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar", gegen Popkultur überhaupt, steckt oft die Vorstellung, daß das Glück natürlich bleiben soll. Nicht diese von Traumfabriken und dahinter stehenden Interessen produzierte Wegwerfware. Aber die Glücksvorstellungen und Selbstbilder der selbst ernannten Eliten, sind sie nicht ebenfalls fabriziert und künstlich? Entnommen den Bildern, Tönen Worten der großen Romane, Opern, Theaterstücke, Philosophien; in denen das Glück ja auch nur erscheint, nie wirklich ist? Anders gefragt: Ist unser Verhältnis zu unseren politischen Repräsentanten oder Lieblingsgeistesgrößen von anderer, weniger vermittelter und fremd bestimmter Substanz, als das der Fans zu ihren angehimmelten und fallengelassenen Stars? Wie also wäre angemessen, kritisch, von links, auf ein Programm wie "Deutschland sucht den Superstar" zu reagieren? Falls es wirklich jemanden gäbe, der nicht weiß, daß in einer solchen Sendung der Starstatus eine Maske ist, die sich ihren Träger aufsetzt, um ihn dann wegzuwerfen, soll man ihn schreibend versuchen aufzuklären? Soll man warten, bis das Publikum sich ermüdet abwendet von diesem Popprogramm und auf das nächste setzen, daß vielleicht die ein oder andere Menschenfreundlichkeit enthält? Soll man statt ewig Einigkeit über die Nachteile des Fernsehens herzustellen, dessen vielfältige Vorzüge genießen, die vielen Kicks, die auch "Deutschland sucht den Superstar" bietet – manche der dort vorgetragenen großen Pophits übertragen schöne, verschwenderische Gefühle, deren Wirkungen nicht mal von gnadenlosen Medienkonzernen und BILD Kommentaren vollends zu Tode funktionalisiert werden können. Oder soll man, statt gebannt zu starren und sich die Köpfe anderer Leute zu zerbrechen, sich um den eigenen kümmern, abschalten und mal wieder ein gutes Gespräch führen, gut essen oder spazieren gehen? Ich weiß es gerade wirklich nicht. filmkritik, 10. Februar 2003 um 22:17:27 MEZ ... Link Samstag, 18. Januar 2003
“Der überfüllte Film bleibt sonderbar leer” (Friedrich Luft) von Harun Farocki Zu: Martina Müller, Werner Dütsch: Lola Montez - Eine Filmgeschichte Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2002 € 39.80 <img ="thumbsup" src="antville.org" onclick="javascript: openPopup('antville.org, filmstill.jpg', 1917, 752); return false;" alt="lola, filmstil" style="width: 100px; height: 39px;" title="lola, filmstil" loading="lazy" /> [Bild öffnet in neuem Fenster] Das Buch ist mit Liebe und Mühe gemacht. 296 Seiten, viele Fotos, davon 105 im CinemaScope-Format und in Farbe, in schwarzes Leinen gebunden. Soviel wird kaum je für ein Filmbuch aufgewandt und höchstens für eines zu einem Klassiker. Aber das ist "Lola Montez" von Max Ophüls nicht. Es ist nicht einmal sicher, dass dieser Film erinnert wird, wenn es um die wenigen Produktionen geht, die aus dem Deutschland der Nachkriegs- und Adenauerzeit herausragen. Das Buch ist keine Streitschrift, die dem Film ausdrücklich die Anerkennung erkämpfen will, die er verdiente. Die verschaffen ihm Dütsch und Müller viel nachhaltiger, indem sie ihrem Gegenstand wohlbedachte Aufmerksamkeit im Tonfall größter Selbstverständlichkeit widmen, wie einer Hauptfigur in einem Roman. Und wie in der literarischen Fiktion erschaffen sie damit eine Parallelwelt, in der dieser Film glänzt. Ophüls erzählte seine Geschichte unter Einsatz von viel Geld und Technik, ohne sie dabei aufzublasen und in eben dieser Kunst folgen ihm die Autoren Müller und Dütsch mit ihrem Buch. Als der Film, eine deutsch-französische Koproduktion, Ende 1955 in Paris und Anfang 1956 in München herauskam, waren die Produktionsfirmen schon hoch verschuldet und bald darauf bankrott. Der Film hatte 7 Millionen DM gekostet und war damit der teuerste im Deutschland nach dem Kriege - die spielte er bei weitem nicht ein. Aus Hilflosigkeit oder Bosheit wurde er bald neu synchronisiert und immer wieder gekürzt, von zunächst 113 Minuten, auf 110, auf 91, schließlich, in den USA, auf 75 Minuten. Es blieb diesem Film sogar versagt, als große Pleite erinnert zu werden. Das viele Produktionsgeld wurde aufgebracht wegen der Hauptdarstellerin Martine Carol, 1951 mit "Caroline Chérie" erfolgreich, danach als Lucretia Borgia, Lysistrata, Madame Pompadour, Du Barry. Kostümfilme "mit einer sexuell bedenkenlosen Heldin und den damals vor allem in Deutschland bescheidenen Möglichkeiten ihrer Entkleidung." (Müller/ Dütsch) Ophüls stellte mit einer Szene besonders klar, dass er die Serie der sexuellen Bedenkenlosigkeit und der bescheidenen Möglichkeiten nicht fortsetzen wollte. "Wenn sie vor dem Bayernkönig Ludwig I die vielversprechende Korsage aufreißt, um ihn von ihrer Eignung fürs Ballett zu überzeugen, schwenkt die Kamera hastig auf den Rücken der Dame, und der lakonische Ruf des Königs nach "Nadel und Faden" eilt wie ein Kettenecho über Treppen und Gänge des Schlosses." (Karena Niehoff) "Eine gelungene Pointe, so scheint es, wenn die Szene jetzt zu Ende wäre, stattdessen fährt die Kamera mit dem laufenden Diener ins Treppenhaus. Der Ruf wird weitergegeben, jeder scheucht den nächsten auf. (...) Bei Brecht wäre die Auswalzung der Situation politisch motiviert, wäre eine Demonstration des Feudalismus draus geworden: Der Herrscher ruft und alle müssen laufen!" (Wilfried Berghahn) Ophüls hatte andere Vorstellungen von Politik und Feudalismus. "Sie greift nach dem Papiermesser, das auf dem Schreibtisch liegt und beginnt das Kleid aufzuschneiden. Genau so schnell SCHNEIDEN WIR / noch ehe man etwas richtig sieht, zum Vorzimmer." (Ophüls, Exposé) Mit dem Messer, das nicht ins Spiel kam, haben wir die Idee des Tyrannenmordes, im nächsten Augenblick die der Selbstzerstörung, man müsste fürchten Blut zu sehen in Erwartung von Nacktheit. Die "Hatchiere, Lakaien und Kammerzofen" (Müller/Dütsch), die nach Nadel und Faden rufen und laufen, künden nicht von der Macht des Königs, eher davon, dass die begehrenswerte Frau an dessen Stelle rückt, wenn die politische Herrschaft entzaubert ist. Lola ist keine Königin von Geburt, nur aufgrund ihrer Liebeskunst kann sie - für kurze Zeit - zur Konkubine aufsteigen. Man gab Ophüls das viele Produktionsgeld, um die Schaulust auf Martine Carol seriös zu machen und wenn er nichts "richtig" zeigen wollte, so mußte das Geld wenigstens dafür entschädigen. Im Buch ist das Plakat zu der US-Fassung , "The Sins of Lola Montès", wiedergegeben, mit der merkwürdigen Angabe: Produced by Max Ophüls. Das Werbemittel zu der am stärksten beschnittenen Fassung zeigt eben das, wovon Ophüls schnell wegschneiden wollte. Und während sie im Film energisch ihre Macht ausspielt, indem sie ihr Kleid aufreisst, lächelt sie auf dem Plakat gewinnend, ihre Hände sind nicht in Aktion zu sehen sondern liegen am Körper auf, um den Augenblick zu verewigen. Zu solchen Studien lädt das Buch mit seinen reichen und sehr verschiedenen Materialien ein, ein besonderes Vergnügen sind die Stills aus der Kopie, die etwas von der Transparenz einer Projektion wiedergeben. Es bietet sich an, die sorgfältig dokumentierten Änderungen nach der Premiere - Abweichungen bei der Synchronisation, weggelassene Sätze, Bilder, die herausgeschnitten wurden, weil die Personen weit am Rand stehen und bei falscher Projektion nicht zu sehen waren - nicht nur als Geschichte einer Zerstörung zu lesen. Vielmehr als Varianten, die mit einander in Vergleich gesetzt, die Motive und Ideen des Films erschließen helfen. Die Geschichte der Lola Montez war zum Zeitpunkt der Filmherstellung schon hundert Jahre in Umlauf und etwas von der Fortsetzungs- und Wiederholungslust ihres Aufstiegs und Niedergangs wirkt im Sprechen über den Film, seine Herstellung und Aufnahme, fort. Vom ersten Entwurf an stand für Ophüls fest, die Geschichte einer Lola zu erzählen, die an der Verwertung der Geschichte ihres Lebens mitwirkt. "Am Ende eines bewegten Lebens spielt und mimt Lola Montès in einem amerikanischen Zirkus ihre "Passion", das heisst, einige Episoden aus einem Leidensweg der Gefühle, der seinesgleichen sucht." (Francois Truffaut) "Dieser Zirkus ist tatsächlich die Hölle. Die Hölle für Lola Montès, die erniedrigt, verhöhnt und dazu verurteilt ist, sich der Menge zu verkaufen, weil sie das Vergnügen und den Reichtum zu sehr geliebt hat...Und dieser despotische Spielleiter (bewundernswert dargestellt von Peter Ustinov), der sie mit der Peitsche in der Hand dirigiert, ist kein anderer als der Teufel..." (Ohne Namensnennung, Le Monde) Zu Jahrmarkt und Zirkus gehören Übertreibung und unhaltbares Versprechen - wie das US-Plakat mit der Ansicht, die im Film nicht vorkommt. Die Peitsche knallt und aus der bleichen Frau wird eine Heilige, aus ihrem Peiniger der Teufel. Truffaut ("Leidensweg, der seinesgleichen sucht") liess sich von diesem Ton anstecken, schrieb, der Film sei neorea"isch und ein Autorenfilm und organisierte ein Manifest zur Verteidigung von Ophüls und Lola. Übertreibung als Selbstschutz, die gebraucht wird, die eigene Rührung zu verbergen, das ist eine Pathos-Formel, die auch der Film anwendet. Ophüls machte den Spielleiter Ustinov zur Erzählstimme, die durch den Film führt, selbst in Rückblenden eingreift: "Der Maler malt, solange er kann,/ von Malen zu Malen hat sie weniger an./ Das Herz des Königs wird von Liebe erfasst,/ und er schenkt ihr einen kleinen Palast." Martina Müller hat sich über viele Jahre mit Ophüls und diesem Film beschäftigt, ist Bankbelege durchgegangen und Drehpläne, hat mit vielen der am Film beteiligten Gespräche oder Korrespondenzen geführt. Es kann den beiden Autoren nicht leicht gefallen sein, aus diesem Wissensschatz jeweils die Wahl so zu treffen, dass das viele Wissen im Hintergrund als Strahlung gegenwärtig bleibt. Das Buch ist hauptsächlich aus Dokumenten – aus denen auch hier zitiert wird – über die sich Müller/Dütsch in den eigenen Beiträgen nicht erheben. "Zum Glück erforderte die Einrichtung der Szene für Ophüls und seine Assistenten mehrere Stunden und auch (der Chef-Kameramann) Matras brauchte nicht wenig Zeit, um das immense Dekor auszuleuchten. So hatte ich Zeit, in der Stadt an die fünfzig Meter Packleinen zu kaufen, in der Farbe, die dem Sand der Arena entsprach. Zwei Bühnenarbeiter haben den Stoff vor dem zurückfahrenden Kamerawagen abgerollt, um die Schienen abzudecken. Eine Tarnung, die man auf der Leinwand sieht, wenn man es weiss, aber es ging." (Der Kameramann Alain Douarinou) Auf den Photogrammen im Buch sind die Schienen unter dem Leinen deutlich zu erkennen, was mir in über dreissig Jahren nicht aufgefallen ist. Es geht hier um die erste Einstellung im Film und es ist merkwürdig, dass der Planungsstab den sonstigen Aufwand an Darstellern und Kostümen bedachte, nicht aber, dass die Schienen der Rückfahrt das ganze Bild durchziehen müssten. Als hätten auch die Producer vor Lola den Kopf verloren, "Zerfetzte Herzen, vergeudete Vermögen", als sei die Bavaria ein umständlicher Hofstaat, in dem Dutzende nach Nadel und Faden riefen und liefen. Im Zirkus zeigt man den Umbau und macht ihn zum Teil der Darbietung und es stellt sich die Frage, was die kinematographische Entsprechung dazu sein kann. Wahrscheinlich müßte der Film zeigen, wie choreographierte Pagen die Schienen mit wunderbarem Schwung abdecken. Die Moritatensprache, die Ophüls auch für die Bilder der Zirkusszenen wählte - keulenjonglierende Lola-Ballette, allegorische Darstellung von Lolas Aufstieg als Seil-Nummer, Pagen, die mit einen Lola-Kopf auf der Stange Geld einsammeln - sie macht kenntlich, wie sehr sie veräußerlicht und fragmentiert. Aufs Dramatischste wird das Gefühl an den Augenblick gebunden, aber nach jedem Ausbruch geht der Sinn aufs Innerliche und Ganze. Da wird eine Sehnsucht erweckt, die der Film nicht stillen wollte. "Ophüls interessieren offensichtlich weniger die starken Momente der Handlung als das, was dazwischen passiert." (Truffaut) "Während er die Wahl zwischen zwanzig wichtigen Episoden hatte, von denen jede als Material für einen Film gereicht hätte, scheint der Filmemacher ihren paradoxen Teil gewählt zu haben, um die Episoden nur zu streifen und sie uns als Nebensache zu zeigen. Herausragende historisch getreue Nachbildungen, die eine enorme Anstrengung der Inszenierung voraussetzen, dienen so nur der Hervorhebung eines unbedeutenden Zwischenfalls, der dem wesentlichen Ereignis vorausgeht oder folgt. Über dieses merkwürdige Erzählsystem würde ich gerne sagen, dass es synkopiert ist, wobei der Rhythmus auf dem unbetonten Takt liegt." (André Bazin) Die Rückblenden: Lola, die einen Verehrer ihrer Mutter heiratet, Reise mit Franz List, Affäre in Bayern mit Ludwig I, sind keineswegs die Berichtigung der unwahren Erzählung in Zirkussprache. Mit anderen Mitteln sind sie in gleichem Masse stilisiert wie die Zirkusszenen, einige sind Aussenaufnahmen bei Tag und Sonne und sehen doch aus wie aus einer Welt, in der es Filmkameras nicht gibt. Die radikalen Verstösse gegen die Ökonomie der Produktion, die ein paar Jahre später von Autoren der Nouvelle Vague zur Methode gemacht wurden, verschaffen der Imagination wunderbaren Raum. Bei aller Künstlichkeit in Farbe und Dekor gelingt es, jedem Augenblick ein selbstverständliches Ereignisrecht zu verschaffen. "Alle Bewegtheit des Films kommt nicht von der Frau, die ihn in Bewegung setzte, sondern vom Bild." Damit hat Karena Niehoff in einer Kritik im Berliner "Der Tagesspiegel" mehr getroffen als etwa Wilfried Berghahn, ein späterer Mitbegründer der "Filmkritik", der darauf bestand, ein Filmbild werde nur im Aktionszentrum erlebt: "Das Filmbild hat keinen Rahmen, es ist im strengen Sinne kein ‘Bild’. Erlebt wird nur sein Aktionszentrum. Doch eben das: Aktion in seinen Film hineinzubringen, gelingt Ophüls diesmal nicht." Dass in diesem Film die Aktion nicht nur von den Personen kommt, das ist wohl die Hauptsache, und wohl nur Kubrick mit seinem "2001" hat mit einem Großfilm Erfolg gehabt, bei dem die Darsteller so vollkommen im Film aufgehoben sind, im Film aufgehen. Dass Ophüls seinen Star Lola/Carol in dieser Weise verarbeitete, das ist ihm am meisten verübelt worden. Die Schönheit dieses Films war zu nichts zu gebrauchen. Wohlmeinend wurde immer wieder, auch von Bazin, der Film "Citizen Cane" als Referenz angeführt, um eine Bewunderung des Virtuosen zu beschwören. Wenn Schönheit kein Selbstwert sein kann, dann steht sie hier für das, was an einer Figur wie Lola Montes nicht benannt und verbraucht werden kann. In den Zirkusszenen, als sie ihre große Geschichte in kleiner Münze verschleisst, da muss sie arbeiten, ihre tägliche Darstellung ist auch ein Versuch, sich das eigene Leben, das eigene Geheimnis, anzueignen. Am Ende erklärt der Spielleiter Lola seine Liebe. Peter Ustinov als Spielleiter, der noch heute, fast fünfzig Jahre später, seinen Namen in Werbespots verwertet, für die Neufirmierung einer Bank, sogar für die Weltausstellung in Hannover, ohne dass noch erinnerlich wäre, womit er sich den gemacht hat. filmkritik, 18. Januar 2003 um 20:23:27 MEZ ... Link ... Nächste Seite
|
online for 8451 Days
last updated: 10.04.14, 10:40 Youre not logged in ... Login
Danièle Huillet – Erinnerungen, Begegnungen
NICHT VERSÖHNT (1965) *** Jean-Marie Straub – Danièle und ich sind uns im November 1954 in Paris begegnet – wir erinnern uns gut daran, weil das der Beginn der algerischen Revolution war. Ich war mehrmals per Autostop nach Paris gekommen, um Filme zu sehen, die es bei uns nicht gab, LOS... by pburg (05.10.07, 11:58)
UMZUG
Nach knapp 2000 Tagen bei antville und blogger machen wir ab jetzt woanders weiter. Unter der neuen Adresse http://www.newfilmkritik.de sind alle Einträge seit November 2001 zu finden. Großer Dank an antville! Großer Dank an Erik Stein für die technische Unterstützung! by filmkritik (08.05.07, 15:10)
Warum ich keine „politischen“ Filme mache.
von Ulrich Köhler Ken Loachs „Family Life“ handelt nicht nur von einer schizophrenen jungen Frau, der Film selbst ist schizophren. Grandios inszeniert zerreißt es den Film zwischen dem naturalistischen Genie seines Regisseurs und dem Diktat eines politisch motivierten Drehbuchs. Viele Szenen sind an psychologischer Tiefe und Vielschichtigkeit kaum zu überbieten – in... by pburg (25.04.07, 11:44)
Nach einem Film von Mikio Naruse
Man kann darauf wetten, dass in einem Text über Mikio Naruse früher oder später der Name Ozu zu lesen ist. Also vollziehe ich dieses Ritual gleich zu Beginn und schreibe, nicht ohne Unbehagen: Ozu. Sicher, beide arbeiteten für dasselbe Studio. Sicher, in den Filmen Naruses kann man Schauspieler wiedersehen, mit denen... by pburg (03.04.07, 22:53)
Februar 07
Anfang Februar, ich war zu einem Spaziergang am späten Nachmittag aufgebrochen, es war kurz nach 5 und es wurde langsam dunkel, und beim Spazierengehen kam mir wieder das Verhalten gegenüber den Filmen in den Sinn. Das Verhalten von den vielen verschiedenen Leuten, das ganz von meinem verschiedene Verhalten und mein... by mbaute (13.03.07, 19:49)
Berlinale 2007 – Nachträgliche Notizen
9.-19. Februar 2007 Auf der Hinfahrt, am Freitag, schneite es, auf der Rückfahrt, am Montag, waren die Straßen frei und nicht übermäßig befahren. Letzteres erscheint mir angemessen, ersteres weit weg. Dazwischen lagen 27 Filme, zwei davon, der deutsche Film Jagdhunde, der armenische Film Stone Time Touch, waren unerträglich, aber sie lagen... by filmkritik (23.02.07, 17:14)
Dezember 06, Januar 07
Im Januar hatte ich einen Burberryschal gefunden an einem Dienstag in der Nacht nach dem Reden mit L, S, V, S nach den drei Filmen im Arthousekino. Zwei Tage danach oder einen Tag danach wusch ich den Schal mit Shampoo in meiner Spüle. Den schwarzen Schal hatte ich gleich mitgewaschen,... by mbaute (07.02.07, 13:09)
All In The Present Must Be Transformed – Wieso eigentlich?
In der Kunst / Kino-Entwicklung, von der hier kürzlich im Zusammenhang mit dem neuen Weerasethakul-Film die Rede war, ist die New Yorker Gladstone Gallery ein Global Player. Sie vertritt neben einer Reihe von Bildenden Künstlern, darunter Rosemarie Trockel, Thomas Hirschhorn, Gregor Schneider, Kai Althoff, auch die Kino-Künstler Bruce Conner, Sharon... by pburg (17.12.06, 10:44)
Straub / Huillet / Pavese (II)
Allegro moderato Text im Presseheft des französischen Verleihs Pierre Grise Distribution – Warum ? Weil : Der Mythos ist nicht etwas Willkürliches, sondern eine Pflanzstätte der Symbole, ihm ist ein eigener Kern an Bedeutungen vorbehalten, der durch nichts anderes wiedergegeben werden könnte. Wenn wir einen Eigennamen, eine Geste, ein mythisches Wunder wiederholen,... by pburg (10.11.06, 14:16)
|