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Mittwoch, 28. November 2001
Syrien in Leipzig 1 - ein Film: ÜBER SIE von Samir Zikra, 1982, 35 mm, 40 Minuten. Zunächst sieht man eine dicke alte Frau bei der Heuernte. Ein ebenso alter Mann versucht, ihr einen enorm großen, die Frau an Volumen mindestens dreifach übertreffenden Ballen auf den Rücken zu wuchten. In dem Moment, in dem die Frau von der Last praktisch zu Boden gedrückt ist, friert der Film das Bild ein und schneidet zu einer jungen Frau mit Mireille Mathieu-Frisur, enger Jeans und flatternder Bluse. Sie geht durch eine Ruinen-Architektur auf die Kamera zu und präsentiert sich, Mikrophon in der Hand, als Moderatorin für dieses Projekt. In der Folgezeit führt sie mit ihren Interviews durch den Film. (Später, als ihr eine Bäuerin aus der Hand lesend eine ungerade Zahl von Kindern prophezeit und einen Sohn als Ältesten, wird sie sich vorstellen: sie ist als Dramaturgiestudentin nach Bulgarien gegangen, hat dort einen Palästinenser geheiratet und macht nun in Syrien Theater; sie hat einen Sohn...) Es geht also um das Miteinander und Gegenüber von modernen und traditionellen Frauen in Syrien. Die Interviews finden in freundschaftlicher Athmosphäre statt. So sitzt man mit der Wahrsagerin in einer Frühsommer-Idylle unter Bäumen, Blumen blühen, der Ausblick geht in die Weite einer flirrend verschwimmenden Landschaft - die Photographie ist stets bemüht, etwas zu erfassen, das über Wortbedeutungen hinausgeht und den Beteiligten eine Aura verleiht, sie in einen größeren Zusammenhang stellt. Man kann leicht erkennen: hier ist das Bild das Ergebnis von Überlegungen, zum jeweiligen Gesprächsgegenstand einen richtigen Rahmen zu finden. Die Stimmung ist gelöst, aber konzentriert, die Fragen sehr direkt, die Antworten aufrichtig. Abschweifungen in Themenwahl und Bild stiften viele elegante Übergänge: Nachdem es in einem ersten Teil um das Leben auf dem Land gegangen war, um Fragen der Sippe, die Rolle von Geld und anderen materiellen Händeln bei der Heiratsanbahnung, auch um Polygamie, befragt der Film zwei Bauern bei der Feldarbeit. Einer von ihnen erläutert, daß er nichts von dem Gerücht halte, wonach Frauen nur den halben Verstand der Männer besäßen. So kommen wir in die Stadt hinein, wo zunächst Frauen bei der Arbeit und junge Lehramtsstudentinnen vorgestellt werden. Mit dem Versprechen einer Befreiung der Frau durch ihre Beteiligung am Waren herstellenden Prozess gibt sich der Film, geben sich die Frauen selbst überhaupt nicht zufrieden. In einem zügigen Reigen läßt der Schnitt sie einander abwechseln und Kritik üben an Staat und Gewerkschaften, an der herrschenden Lohn- und Rentenpolitik. Als die Bildungsfrage angeschnitten wird, zeigt der Film ultramoderne Staudamm-Anlagen am Euphrat, die ein gleißendes Licht mit messerscharfen Konturen versieht. Dann junge Oberschichtsfrauen. Sie spielen Tennis. Das Bild wird begleitet von der off-Stimme der Moderatorin, die die Feststellung trifft, daß über 80 Prozent der Syrerinnen Analphabetinnen sind. Es folgt das Porträt einer ganzen Klasse älterer Mädchen. Sie tragen militärische Uniform und sind wirklich alle sehr schön. Im Hof einer Einrichtung für Mädchen, die von zuhause weggelaufen sind, erzählt eine Sozialarbeiterin die tragische Anekdote einer von ihrem Vater erstochenen jungen Frau. Der Hof ist leer, ein Tatort. Nach Strandbildern, die freizügiges Flanierverhalten westlich orientierter, offensichtlich wohlsituierter Menschen im Kontrast zu Frauen zeigen, die voll bekleidet mit Kopftuch in Schwimmringen aus LKW-Schläuchen im Meer baden, kehrt der Film zu den zukünftigen Lehrerinnen zurück. Die Moderatorin stellt die Frage: 'Wie soll Euer Mann sein?' Schnitt. Das Brustbild einer hübschen jungen Frau mit blondem langen Haar. Sie könnte aus dem Kreis der Studentinnen stammen, aber sie sitzt nicht bei ihnen auf der Terasse, sondern allein in einem Zimmer. Die Wände sind mit Postern bedeckt und das Mädchen blättert in Zeitschriften. Sie zeigt auf Abbildungen ihrer Lieblingssänger und -schauspieler: So müßte ihr Mann sein. Auf die Frage nach ihrer Zukunft weiß sie aber keine rechte Antwort. Dann springt die Filmkamera zurück und erfaßt einen größeren Raumausschnitt. Neben dem Mädchen lehnen Krücken an der Wand. Sie nimmt die Krücken, stemmt sich aus ihrem Stuhl und schleppt sich aus dem Zimmer. Ihre Beine schlackern wie leblos an ihrem Körper herab. Der Film geht in eine andere Schule: In einer gemischten Klasse spielen kleine Kinder das Märchen von Rotkäppchen nach. Das kleine Mädchen quittiert die Antwort auf die Große-Mund-Frage mit Kreischen. Mitten hinein in den hingebungsvoll gespielten Schrecken friert das Bild wieder ein. Die Moderatorin verläßt die Ruine, durch die sie den Film zu Beginn betreten hatte. Eine Musik begleitet sie und kehrt mit uns zurück zum freeze frame, der die erste Sequenz beendet hatte und jetzt fortgesetzt wird: die alte Frau steht mit großer Mühe auf und trägt den riesigen Heuballen in Zeitlupe aus dem Bild. 2 - Zum 11. September und seinen Voraussetzungen befragt, sagt der Tunesier Meddeb: "Der Märtyrer nährt das Schuldgefühl, nicht bereit gewesen zu sein ... zu beschützen und ... Tod zu verhindern. (...) Anlässlich des Märtyrertods wird an die Schuld der Tatenlosigkeit erinnert." (Abdelwahab Meddeb: Die Krankheit des Islam, Lettre Int. N°54/2001) Meddeb spricht an dieser Stelle über die Bedeutung des Märtyrerkults bei den Schiiten. Aber er verweist selbst auf die großen Parallelen zur christlichen Religion. Eine verallgemeinernde These scheint möglich: Es könnte eine wesentliche Funktion sein von Kunst, von Kino, aus dem (Über-)Leben heraus Zeugnis abzulegen von dieser Schuld den Toten gegenüber. Ein in Leipzig vorgeführtes Projekt tut das sehr deutlich: In STARBUCK - HOLGER MEINS von Gerd Conradt berichtet ebenfalls einer von der eigenen Schuld daran, einen Freund nicht vor dem frühzeitigen Ableben gerettet zu haben. Tote beklagen, das tun gleich mehrere gezeigte syrische Filme auch, und zwar jene, die sich mit den palästinensischen Flüchtlingen in Damaskus und Beirut auseinandersetzen. Alle wissen es: das Thema ist mehrfach heikel. Immer steht die Gefahr im Raum, daß das Dauer-Issue zur Herstellung einer arabisch-islamischen Kollektiv-Identität instrumentalisiert wird oder wenigstens zur Behauptung gemeinsamer Interessen. Zum realen Elend einer palästinensischen Diaspora, von dem die Bilder eine Ahnung vermitteln wollen, gesellt sich das Dilemma der (nicht nur) syrischen Filmemacher, verstrickt in Wirrnisse einer alltäglichen Praxis, die geprägt ist vom Wettstreit um geringe Mittel und vom Kampf gegen eine geistlose Zensur. Die Palästinenser-Frage ist ein echtes Anliegen, daran gibt es keinen Zweifel. Aber sie liegt auch aus wie ein Konsens-Köder. Mit minimalistischen Versuchsanordnungen haben die vorgeführten Werke versucht, das Thema in den Griff zu bekommen. Nicht immer gab es dabei Platzverbot für vereinfachende Darstellungsweisen. Auch die feineren Analysen begnügen sich damit, Machtlosigkeit festzustellen. Unausgesprochen legen sie damit nahe, daß Fremdeinflüsse daran die Schuld tragen. Klipp und klar: Die syrischen Filme, auf die ich mich beziehe, rufen nicht dazu auf, die Juden zu schlachten. Sie liefern Hinweise auf Existenzen, die aus unserem Bilder-Kosmos ausgeklammert bleiben sollen, schon alleine deshalb sind sie auf der Seite des Lebens. Aber nicht immer läßt sich der Verdacht verdrängen, daß einige Regisseure wenn nicht die Faust, so doch den Zeigefinger in der Tasche hatten. Ein Spiegel in offener Hand wäre ergiebiger, für die Suche nach Eigenverantwortlichkeit und gegen die Killer-Loops von Ideologien, die die Toten, die sie brauchen, gleich selber produzieren. Den Wettbewerb in Leipzig gewann ein Film aus Israel. EINGESCHLOSSEN von Anat Even und Ada Ushpiz erzählt von drei palästinensischen Witwen in Hebron. Der Syrer Omar Amiralay war Mitglied der fünfköpfigen Jury, die den Preis vergeben hat. Ich wünsche mir syrische Filme, die auch den Toten -und Lebenden- Israels ihren Respekt zollen. von stefan pethke filmkritik, 28. November 2001 um 09:51:19 MEZ ... Link Donnerstag, 22. November 2001
Menschen in finsteren Zeiten Über"The Man who wasn’t there" von Joel & Ethan Coen Von Michael Girke "It’s darker than you know in this complicated shadows" Elvis Costello Wirklich unbeliebt zu sein, das mußten in Deutschland nie Angehörige von Mehrheiten fürchten, also nie Nazis, Rassisten oder Kriegstreiber, sondern stets Angehörige von Minderheiten - Juden, Schwule, Behinderte, Kommunisten und: Intellektuelle. Mehr als alles lieben Deutsche ihre Gewohnheiten, also wird bis heute jeder nicht unmittelbar eingängige Gedanke als verkopft oder unverständlich denunziert. Kritiker beispielsweise erwähnen bei jedem Film der Brüder Coen dessen zitierenden Charakter. Aber jeder Gedanke darüber, wie ein Coen-Film sich verhält zu den von ihm zitierten Filmen, oder den Zeiten, in denen diese entstanden, unterbleibt – aus Unvermögen oder weil man verdienen will an einem Publikum ohne jeden Verstand. Nicht nur an ihrem Umgang mit Film kann man erkennen: Die hiesige Öffentlichkeit ist eine ohne Gedächtnis und historisches Bewußtsein, ist so stillgestellt, borniert und bleiern, wie man es der Adenauerwelt der 50er immer nachsagt. 40er und frühe 50er, das war die Blütezeit des Film Noir, jener Detektivfilme, deren bekannteste die mit Humphrey Bogart sind. "The Man who wasn’t there" steckt nicht nur voller Verweise auf deren Licht- und Schattenspiele, es ist ein neuer Film Noir. Einer, der sich Scherze erlaubt gegenüber den Konventionen des Genres und zugleich Hochachtung für dessen Poesie ausdrückt, das heißt für die spezifische Art dieses Genres die Realität zu thematisieren und zu kommentieren. Humphrey Bogarts Detektiv ist der erfolgloseste Aufklärer der Geschichte. Einer, der die Ränke der Mächtigen nie wirklich durchschaut, der in einer Welt aus Konkurrenz, Korruption und Gier gerade so überlebt. Auf der Tonspur aber darf er mit zynischen, also zutreffenden Gesellschafts- und Menschenbeschreibungen triumphieren. Bekanntlich machte Bogarts verführerisch herausgeputzte Ohnmacht ihn nicht nur zum Star, sondern brachte Scheitern den Glanz einer coolen Sache ein. Wie kitschig das war, kann man nun in "The Man" sehen. Kann sein, die Coens übertragen den Film Noir, dessen Schauplatz die Großstadt ist, auf ein provinzielles Amerika und verändern dadurch das Genre. Kann sein, sie wollen den Film Noir ohne dessen Romantik und Heroismus zeigen. Was als "The Man" dabei heraus kommt, ist ein ganz und gar unamerikanischer Blick auf Amerika: Der Off-Kommentar ist nicht cool, er ist wie die Hauptfigur, äußerst schlicht; Individualität erscheint, anders als es heutiger Ideologie entspräche, nicht als Stärke und Unabhängigkeit, sondern als nicht zu erreichendes Ideal, als Armseligkeit und als Witz. Westliches Leben, wie die Coens es sehen, ist banal, schmerzhaft und absurd. Gleichzeitig. Mit anderen Worten: Der Blick der Coens nähert sich dem Kafkas immer mehr an. Cineasten zählen gern all die Bezüge eines Coen-Films zu Filmgeschichte und Theorie auf und schreiben Texte, die vor allem die Aufgabe haben, die Cineasten gut aussehen zu lassen. Aber wer Filme behandelt wie ästhetische Spielereien, der will Leinwandgeschehen als Illusion, befreit von lästigen Gedanken an die Lebenswelt. Dann wäre der Mann, der nicht da ist eine Analogie für Filmkunst, die nicht da ist. Die zwar auf der Leinwand läuft, deren Schönheit und Tiefe aber nicht erkannt wird. In Filmen stecken entweder Bestandteile jener Schönheit, jenes Schreckens, die der Wahrheit eigen sind, oder sie sind so spannend und wichtig wie bunte Farbflecke. Was haben Menschen wie du und ich zu tun mit einem Friseur, der auf einer Leinwand lebt? Dessen Job ihm die meisten Gefühle und Ambitionen austreibt? In dessen Inneren sich murrend ein Fehlen von Intensität bemerkbar macht? Dem entweder eine unsichtbare, sprachlose Gewalt oder ein düsterer Zauber die Angst tief in seine Eingeweide treibt, die ihn in seiner Lage gefangen hält, und der, da echte Schläue nicht in seiner Natur liegt, und niemand auftaucht, der all das beheben könnte, nie den Schlüssel findet, der heraushilft aus seinem Gefängnis? Der sich vollkommen isoliert fühlt im Wortstrom all der Mitmenschen, Verkäufer, Anwälte, Polizisten, da die Worte nicht ihn meinen, sondern die Leute bis zum Erbrechen ihr routinemäßiges Geschwätz, die Früchte ihrer geistigen Armut wiederholen, die gruseligen Kosten-Nutzen-Kalkulationen, die sie als Welt im Kopf haben. Was hat unsere Wirklichkeit gemein mit einer Leinwandwelt, in der Konkurrenz, ein betriebsames Streiten um Lebensmöglichkeiten stattfindet, in der jeder eine auf sich selbst bezogene Einheit bildet, die sich gegen andere Wahrnehmungen abdichtet? In der die Geschichte, die ganze endlose Kette der hellsichtigen Analysen, Gedanken, Utopien, Hoffnungen gerade mal den Wert einer Halluzination hat, unausweichlich dazu verurteilt zu vergehen, keine zählbaren Spuren zu hinterlassen? In der jede echte Alternative zu diesem entweder zu Tode determinierten oder schrottplatzhaften, zufälligen Leben erstickt wird? Der Mann, der nicht da ist, ist es nicht als Mensch. Er ist es als Funktion, als Rad im Getriebe. Und als Mißverständnis. Sind Filme so, weil ihre Macher es verstehen all den Stimmen zu lauschen, die kein Gehör, keine Repräsentation finden in der politischen Ordnung, die draußen bleiben müssen aus den standardisierten Wirklichkeitsdarstellungen der Medien oder sind Filme so, weil Künstler halt zu surrealen Scherzen und anderem Spinnkram neigen? mbaute, 22. November 2001 um 17:22:52 MEZ ... Link Montag, 19. November 2001
ghosts1 Zwei Anläufe bevor die Geschichte beginnt: eine Fahrt an den Fenstern eines Mietshauses entlang wie ein kleines Gesellschaftsbild aus dem dann eine Figur herausgeholt werden wird, aus der Gesellschaft einsamer amerikanischer Individuen vor dem Fernseher. Dann gibt es diese zweite, dagegengeschnittene Sequenz mit dieser irrsinnigen indischen Musicalausschnitt, diesem Bollywoodtanz, so ein ziemlich krasses Gegenbild zu dem Anderen, ganz einfach hintereindergeklebt und man sieht Thora Birch ja noch gar nicht, hat so auch nicht die geringste Ahnung, was diese irrsinnigen Inder mit den Fernsehstuben-Bewohnern zu tun haben sollen. Aber diese Inder erzählen was, was man sonst in diesem Film nie wieder sieht: eine Leidenschaft und sogar Extase und dann geht das Bild zurück und wir sehen Enid, Thora Birch, beziehungsweise nur deren wilde Haare, weil sie zu den indischen - was wir jetzt erkennen- Videobildern aus ihrem Fernseher wild tanzt. Das sieht man ja nie wieder, dass sie tanzt. Das macht sie zu Hause alleine, in der Öffentlichkeit würde sie das nicht wagen, das fände sie uncool. Warum wird dieses Travelling benutzt? Das hat was damit zu tun, dass hier, im Gegensatz zum Comic, der mitten in eine Szene hineingeht der Film immer noch einen Anfang braucht. Die Kleinstädte z. B. in einem Spielbergfilm, die fangen immer von oben an und das heisst dann: das ist der Ort, an dem unsere Geschichte spielt. Die Versuchsanordnung des Zwischenmenschlichen. Hier spielt die Geschichte. Wie ein Romananfang aus dem 19. Jahrhundert. Wenn wir am Ende der Fahrt in Enids Zimmer sind blicken wir durch keines von diesen Fenstern im Mietshaus, sondern wir befinden uns, wie wir später sehen, in einem Einfamilienhaus in einer Suburb. Ganz woanders. Das ist ein Fehler. Aber der Fehler ist schön. Thora Birch, Enid. Wie sie geht. Ein Winkel in dem sie den Oberkörper leicht vorbeugt und ihren dickem Hintern hinterherzieht. Ein Mädchen, dem der Körper noch gar nicht gehört, der ihr noch gar nicht folgt, in die Richtung, in die der Kopf will. Wobei der Kopf hier auch noch gar nicht genau weiss, wo er hinwill. Einmal liegt sie auf dem Sofa und hört die Platte die sie Steve Buscemi abgekauft hat und dann beugt sie sich nach hinten und legt die Platte nochmal neu auf und fällt ganz langsam in die genau gleiche Position wieder hinein. Als ob sie dadurch den Moment wiederholen und das Glück verlängern könnte. Dann die Verzweiflung mit der Thora Birch die missverständliche Retro-Meta-Post-Punkfrisur wieder zurückfärbt in Schwarz. Denn die Codes funktionieren nur, wenn es jemanden gibt, der die Codes lesen und verstehen kann. Ein grosses Unglück, diese Unmöglichkeit sich in diesen Ebenen von authentischen Jugendstilen und deren ironischen Wiederkünften zurechtzufinden.Aber wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, auf diese Codes, dass die Farbe der Haare und der Schnitt des Kleides was bedeuten, dann gibt es kein Zurück. Im Comic gibt es die Szene mit einem bösen Streich, einem gefaketen Anruf auf eine Kontaktanzeige. Da sitzt nun dieser Mann und wartet in diesem FiftiesRetrodiner und ein paar Tische weiter sitzt die Gang der Mädchen die ihn beobachten. Dieser Mann wartet und merkt irgendwann, dass er umsonst gekommen ist. Er entdeckt die Mädchen und weiss in diesem Augenblick, dass er von ihnen verarscht worden ist. Er geht aber nicht an den Tisch der Mädchen sondern verlässt das Restaurant, stellt sich von aussen vor die Scheibe, kuckt alle an, allen in die Augen... und geht. Alle verstummen und können nicht mehr weiterreden. Dann sieht man Allen, diesen Kellner mit der Vokuhilafrisur, den sie immer Alien nennen, und der Kellner geht zu dem Platz, an dem der Mann gesessen hat und findet dort die Rose, die der Mann der Frau mitgebracht hat. Da taucht ein Zeichen auf, ein so triviales und abgenutztes wie die Rose, das plötzlich eine ungeheure Wahrhaftigkeit und Eindringlichkeit bekommt. Das lässt alle verstummen. Dann ist diese Episode zu Ende. Der Mann taucht dann im Comic nie wieder auf. Im Film spielt Steve Buscemi diesen Mann und aus der Figur wird das Objekt dieser hoffnungslosen Liebesgeschichte von Enid. Dabei wäre eigentlich alles ganz einfach, denn Enid liebt den Supermarktverkäufer Josh, den guten Freund, der sich immer bereitwillig von den Mädchen als Chauffeur missbrauchen lässt. Und der liebt anscheinend auch Enid, denn als jemand in den Supermarkt kommt und behauptet dass Enid jetzt endlich einen Freund gefunden hat lässt er vor Schreck diese riesige Portion Eis fallen. Aber irgendwie würde daraus nie eine wirkliche Liebesgeschichte werden können. Zu naheliegend. Dann zwingt sie irgendwann Buscemi in diesen Pornoladen und findet alles erst mal ganz grossartig und staunt über die Kunden und sagt begeistert: Alles Perverse! Was Enid vermutlich ohne weiteres auch auf den Rest der Gesellschaft ausserhalb des Pornoladens behaupten würde. Sie holt dann irgendeine Onaniervorrichtung aus einem Karton und fragt: Wer fickt denn sowas? Auch diese Frage bezieht sich dann auch auf alle anderen Dinge in diesem Film. Wer fickt denn die? Wer kann denn noch eine Leidenschaft dafür entwickeln? Für Retrofiftiescoffeeshops, für Splattermovies. Sie hat diese absolut tödliche Hipstercoolness einer 17-jährigen, die ganz genau sieht was auf sie zu kommt. Ein ödes Leben. Es ist erstaunlich mit wieviel Abscheu der Film Popmusik behandelt. Ganz, ganz weit hinten im Indien der vielleicht siebziger Jahre ist für Enid eventuell noch Musik zu finden, die wirklich toll ist, oder eben Skip James auf den sie durch Buscemi stösst: Devil got my woman. Ein Blues aus den dreissiger Jahren. Aber wie verwellt die Platte ist. Der Tonarm geht rauf und runter und arbeitet sich durch die Rillen einer inzwischen schon antiken Neuauflage aus den 80ern einer Schelllackplatte aus den 30er Jahren. Auf allem liegt eine dicke Schicht Staub. c.p. und l.b. über ghostworld filmkritik, 19. November 2001 um 16:16:30 MEZ ... Link |
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Danièle Huillet – Erinnerungen, Begegnungen
NICHT VERSÖHNT (1965) *** Jean-Marie Straub – Danièle und ich sind uns im November 1954 in Paris begegnet – wir erinnern uns gut daran, weil das der Beginn der algerischen Revolution war. Ich war mehrmals per Autostop nach Paris gekommen, um Filme zu sehen, die es bei uns nicht gab, LOS... by pburg (05.10.07, 11:58)
UMZUG
Nach knapp 2000 Tagen bei antville und blogger machen wir ab jetzt woanders weiter. Unter der neuen Adresse http://www.newfilmkritik.de sind alle Einträge seit November 2001 zu finden. Großer Dank an antville! Großer Dank an Erik Stein für die technische Unterstützung! by filmkritik (08.05.07, 15:10)
Warum ich keine „politischen“ Filme mache.
von Ulrich Köhler Ken Loachs „Family Life“ handelt nicht nur von einer schizophrenen jungen Frau, der Film selbst ist schizophren. Grandios inszeniert zerreißt es den Film zwischen dem naturalistischen Genie seines Regisseurs und dem Diktat eines politisch motivierten Drehbuchs. Viele Szenen sind an psychologischer Tiefe und Vielschichtigkeit kaum zu überbieten – in... by pburg (25.04.07, 11:44)
Nach einem Film von Mikio Naruse
Man kann darauf wetten, dass in einem Text über Mikio Naruse früher oder später der Name Ozu zu lesen ist. Also vollziehe ich dieses Ritual gleich zu Beginn und schreibe, nicht ohne Unbehagen: Ozu. Sicher, beide arbeiteten für dasselbe Studio. Sicher, in den Filmen Naruses kann man Schauspieler wiedersehen, mit denen... by pburg (03.04.07, 22:53)
Februar 07
Anfang Februar, ich war zu einem Spaziergang am späten Nachmittag aufgebrochen, es war kurz nach 5 und es wurde langsam dunkel, und beim Spazierengehen kam mir wieder das Verhalten gegenüber den Filmen in den Sinn. Das Verhalten von den vielen verschiedenen Leuten, das ganz von meinem verschiedene Verhalten und mein... by mbaute (13.03.07, 19:49)
Berlinale 2007 – Nachträgliche Notizen
9.-19. Februar 2007 Auf der Hinfahrt, am Freitag, schneite es, auf der Rückfahrt, am Montag, waren die Straßen frei und nicht übermäßig befahren. Letzteres erscheint mir angemessen, ersteres weit weg. Dazwischen lagen 27 Filme, zwei davon, der deutsche Film Jagdhunde, der armenische Film Stone Time Touch, waren unerträglich, aber sie lagen... by filmkritik (23.02.07, 17:14)
Dezember 06, Januar 07
Im Januar hatte ich einen Burberryschal gefunden an einem Dienstag in der Nacht nach dem Reden mit L, S, V, S nach den drei Filmen im Arthousekino. Zwei Tage danach oder einen Tag danach wusch ich den Schal mit Shampoo in meiner Spüle. Den schwarzen Schal hatte ich gleich mitgewaschen,... by mbaute (07.02.07, 13:09)
All In The Present Must Be Transformed – Wieso eigentlich?
In der Kunst / Kino-Entwicklung, von der hier kürzlich im Zusammenhang mit dem neuen Weerasethakul-Film die Rede war, ist die New Yorker Gladstone Gallery ein Global Player. Sie vertritt neben einer Reihe von Bildenden Künstlern, darunter Rosemarie Trockel, Thomas Hirschhorn, Gregor Schneider, Kai Althoff, auch die Kino-Künstler Bruce Conner, Sharon... by pburg (17.12.06, 10:44)
Straub / Huillet / Pavese (II)
Allegro moderato Text im Presseheft des französischen Verleihs Pierre Grise Distribution – Warum ? Weil : Der Mythos ist nicht etwas Willkürliches, sondern eine Pflanzstätte der Symbole, ihm ist ein eigener Kern an Bedeutungen vorbehalten, der durch nichts anderes wiedergegeben werden könnte. Wenn wir einen Eigennamen, eine Geste, ein mythisches Wunder wiederholen,... by pburg (10.11.06, 14:16)
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